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Über den Anspruch der Wanderuni

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Vor ein paar Wochen ist in der Oya ein sehr schöner Artikel über unseren StudienGang 2015 erschienen. Weil es jedoch in dem Artikel ein bisschen so erscheint, als hätten wir uns vor allem ein paar schöne Urlaubswochen gemacht und sich sehr wenig über unser Studium herauslesen lässt, habe ich Bedürfniss hier kurz zu beschreiben, wie ich den universitären Anspruch der Wander
uni verstehe.

Die Wanderuni hat einen Anspruch und ein großes Ideal. So wie Funkenflug keine Klassenfahrt ist, sondern von einer starken Sehnsucht und Hoffnung getragt wird und seinen Sinn und seine Qualität durch die Verbindung von Wandern und politischer Aktion gewinnt, so erfährt die Wanderuni ihren Sinn durch die Verbindung von Wandern und Studium. Die Wanderer sind gleichzeitig Studenten. Und „studieren“ bedeutet „intensives streben“. Auch eine Reise- oder eine Wandergruppe kann wertvolle Erfahrungen bieten, doch diese Art Erfahrungen begründet noch nicht den Kern der Wanderuni. Die Wanderuni bringt eine eigene Qualität hervor, die sie nur durch diesen Anspruch , eben auch eine Universität zu sein, gewinnt. In dem beständigen Ringen danach Wandern und Studium zu verbinden, Formen, Strukturen, Tagesablauf, Lernmethoden, Kommunikationsformen, den Umgang untereinander, Vereinbarungen, Zeiträume und Themen so zu finden und zu gestalten, dass sie diesem Anspruch gerecht werden.

Dass bedeutet für mich nicht im Geringsten, dass diese Formen den heutigen „Uniformen“ ähnlich sein müssen. Ich hoffe sogar auf gänzlich neue Ansätze und Wege und glaube, dass Mut zum Experiment dringend notwendig ist, wenn die Bildung den heutigen Herausforderungen gerecht werden will.

Die Wanderuni will neue Bildungswege gehen.
Es darf sein, dass Markus hinterfragt, was Lernen eigentlich bedeutet und wieso wir „Lernzeiten“ haben, was ja impliziert, dass wir in den anderen Zeiten nichts oder nicht so viel wertvolles Lernen würden, obwohl die wesentlichen Lernerfahrungen vielleicht gerade außerhalb der offiziellen Lernzeiten stattfinden. Und er darf und muss vielleicht sogar ausprobieren, ob nicht ein assoziatives Lernen, dass der eigenen Neugier und den spontanen Begegnungen beim Wandern folgt, nicht sinnvoller und vielleicht auch effektiver sein könnte.
Doch es ist wichtig, dass dieses Vorgehen bewusst geschieht und immer wieder reflektiert wird. Es ist wichtig, dass wir immer wieder hinterfragen, ob es wirklich gut ist, wie wir es tun. Es geht mir darum eine Antwort geben zu können, auf die Frage nach dem „Wie?“, „Wieso machst du das so und nicht anders?“ Es geht mir darum, dass die Studenten der Wanderuni sich ver-antworten können, und so lernen Ver-Antwortung zu übernehmen.

In diesem Sinne ist die normale Universität zutiefst verantwortungslos, denn während sie in sogar noch zunehmenden Maße die Verantwortung von den Studierenden abnimmt und ihnen die Selbstverantwortung verwehrt, so gibt es in dem großen anonymen System gleichzeitig meistens niemanden, der dir auf die Frage nach dem „Wieso so?“ antwortet.

Diese Art von Verantwortung ist eine gänzlich andere, als die ebenfalls im Sprachgebrauch übliche Forderung nach Verantwortlichkeit, die im Gegenüber ein Pflichgefühl erzeugen und sein Gewissen ansprechen soll. Es geht mit nicht um die Stärkung dieser veräußerten Innerlichkeit, einem außerhalb von mir stehenden Selbst, dass mich kontrolliert und mir Vorwürfe macht. Diese inneren Blockaden und dieses Zwiegespaltensein, hindert mich nur daran wirklich loszugehen und meine ganze Kraft zu nutzen.
Mein Anspruch an den Anspruch der Wanderuni ist anderer Motivation. Kein Chor von dröhnenden elterlichen, schulischen, gesellschaftlichen, leistungsgierigen „Du solltest“-Stimmen. Kein Berg an Regeln und Vorschriften. Ich glaube, dass gerade dadurch, dass all diese Stimmen mit der Zeit durch das Wandern abfallen, zurückbleiben und unwesentlich werden, dass durch die Stille und die in der Stille entstehende Frage „Warum tue ich, was ich tue?“ der universitäre Anspruch gesichert wird. Stille und echtes Zuhören, das waren die Qualitätssicherungen unsers StudienGangs.

Wir haben uns oft die Fragen „Wieso tun wir es so, wie wir es tun? Ist es gut, was wir tun?“ gestellt und es hat jedesmal Mut und viel Ehrlichkeit gebraucht. Doch dass wir diesen Mut und diese Ehrlichkeit immer wieder aufgebracht haben, stellt für mich den Kern der Wanderuni dar. Immer wieder haben wir um passende Strukturen und Rituale gerungen, haben Tages-, Wochen- und Monatsreflexionen, Pläne, Experimente und Auswertungen gemacht. Wir haben längst nicht alles gut gemacht, wir haben viele Fehler, viel Blödsinn gemacht und uns an viele Vornahmen nicht gehalten. Doch dass wir bis zum Ende immer wieder darum gerungen haben, es gut zu machen, das macht mich stolz.

Die ganze Zeit über, wusste ich mich verbunden mit der Vision, dass ich das, was ich studiere, nie nur ganz für mich selbst mache, sondern das es immer auch Teil einer größeren Suche nach grundsätzlich neuen, sonnvollen Bildungswegen ist. Dieses größere Ziel im Hintergrund hat mir Kraft geben, mich immer wieder neu zu fragen, was denn die Uni in der Wanderuni ist.
Wenn die Wanderuni eine verantwortungsvolle und lebendige Universität werden will, dann darf sie niemals eine fertige Antwort auf diese Frage haben, sondern muss immer im Zustand des Antwortens bleiben.

Die Wanderuni ist keine Universität. Sie wird erst eine und jeder Wanderstudent findet einen neuen Teil der Antwort. Und ich hoffe, dass die einmal gefundenen Antworten weder einfach wieder vergessen werden, noch dass sie zu steinernen Regeln werden, sondern als angebotene Erfahrung, die Grundlage bieten, aus der die neuen Studenten ihre immer neuen Antworten wachsen lassen können.

Ich übernehme nicht die Verantwortung für die neuen StudieGänge. Die Antwort auf die Frage „Warum tust du, was du tust?“ lässt sich nicht abnehmen. Ich übernehme jedoch vielleicht, um den Anspruch der Wanderuni zu sichern, die Frage.

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