Warum die Wanderuni eine Uni ist – oder was ist eine Uni?
Zuerst möchte ich zwei Bemerkungen vorausschicken, die mir wichtig sind. Erstens: Ich beziehe mich bei meiner Ausführung auf die Erfahrungen, die ich während meines Wandersemesters gemacht habe. Das, was ich beschreibe, war in meiner Gruppe lebendig. Es gibt wohl so etwas wie eine Wanderunikultur, jedoch keine Vorgaben oder Richtlinen, jede Gruppe ist selbstorganisiert und hat somit einen eigenen Charakter. Zweitens: Ich präsentiere hier meine Meinung, ich vertrete weder meine Gruppe noch die Wanderuni an sich.
Dieser Text entstand auf Grund der Reaktionen, die die kleine Reportage über meine Gruppe, die nur Teile meines Erlebens, der thematischen Tiefe und Intensität des Wandersemesters zeigt, hervorgerufen hat. In vielen Kommentaren heißt es, dass der Begriff Uni aus verschiedenen Gründen nicht passend sei. Da wirft sich für mich die Frage auf, was denn eine Universität ausmacht. Was soll an einem solchen Ort geschehen? Was machen die Menschen dort und wie leben sie?
Das Wort Universität kommt vom mittelhochdeutschen universitēt, was Gesamtheit, Verband der Lehrenden und Lernenden bedeutet. Der mittelhochdeutsche Begriff stammt wiederum vom lateinischen universitas (gesellschaftliche Gesamtheit, Kollegium) ab. An einer Universität gibt es also Menschen, die Wissen teilen, und Andere, die dieses Wissen aufnehmen. Diese Menschen kommen aus der gesellschaftlichen Gesamtheit, es gibt demnach keine Exklusivität.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Universität mit einer Bildungseinrichtung gleichgesetzt. Es ist ein Ort, an dem Bildung geschehen, sich vollziehen, entstehen oder erfahren werden soll. Was ist also Bildung? Bildung ist ein schillernder Begriff, der Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume weckt, der allerdings auch eine klare Spaltung der Gesellschaft mit sich bringt: Gebildet oder nicht gebildet sein.
Bildung entzieht sich einer dauerhaften Definition, ständig wird über ihren Wert, ihre Bedeutung, ihre Notwendigkeit, ihre Dimensionen und ihr Wesen neu verhandelt. Es ist ein zentrales Moment der Bildung, dass sie keine finale Gültigkeit besitzt, da sie ständig hinterfragt. Sie hinterfragt nicht nur den Menschen, der sich bilden will, die gesellschaftliche Ordnung und Bildungspraktiken, sondern auch ganz radikal sich selbst – sie ist selbstkritisch.
Bildung ist in unserer Gesellschaft das Werkzeug zur äußerlichen Selbstbestimmung eines Menschen und gleichzeitig braucht ein sich bildender Mensch einen selbstbestimmten Anteil, damit sie gelingen kann. Mit diesem Anteil übernimmt er Verantwortung für das, was im Bildungsprozess geschieht. Es braucht weiterhin einen Rahmen, der die Bedingungen für Bildung ermöglicht, zur Verfügung stellt und hält, solange der Prozess abläuft. Dieser Rahmen ist Fremdbestimmung, die versucht Selbstbestimmung zu ermöglichen, sich selbst abzuschaffen. Zwischen diesen beiden Polen liegt das Bewusstsein des sich bildenden Menschen und vermittelt. Selbstbestimmung ohne Rahmen kann in die Leere laufen, keine Wirklichkeit besitzen, während Fremdbestimmung leicht zur reinen Erziehung – etwas schärfer Zucht – verkommt.
Zur Bildung gehört auch Lernen und Üben, jedoch einer besonderen Art und Weise, die der Würde der menschlichen Existenz entspricht. Diese besondere Art und Weise entspricht dem Wesen des sich bildenden Menschen, seinem Kern, und wandelt sich im Verlaufe des Bildungsprozesses mit seiner Entwicklung. Nur in ihm besitzt sie Lebendig- und Gültigkeit. Der Versuch sie auf andere Menschen zu übertragen, degradiert sie zur sturen Wiederholung, zur dogmatischen Bildungspraktik.
Eine Universität ist also ein Ort, an dem Wissen geteilt, aufgenommen und hinterfragt wird, an dem aber auch Selbstreflexion stattfindet. Hier kommen Menschen zusammen, um sich zu bilden. Das heißt, sie geben sich gegenseitig einen Rahmen, um Selbstbestimmung zu erarbeiten, zu entwickeln, sich ihrer bewusst zu werden. Eine Universität oder Bildungseinrichtung ist Fremdbestimmung, die anstrebt, sich selbst abzuschaffen. Eine Universität ist der Versuch Bildung lebendig zu halten.
Während des Wandersemesters haben wir uns gegenseitig Raum für Entwicklung gegeben, haben ein Konzept des Zusammenlebens entworfen und es sowie uns selbst hinterfragt, haben Wissen geteilt oder aufgenommen und uns anschließend reflexiv und diskursiv damit auseinandergesetzt. Wir waren mehr als ein Verband der Lehrenden und Lernenden, wir waren eine kleine Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, die durch’s Land gezogen ist. Wir waren ein Rahmen, der sich selbst abschaffen und zur Selbstbestimmung führen sollte. Und alles war ein Versuch, das ist auch festzuhalten. Ein Versuch, der vieles mit sich brachte, an dass wir vorher nicht gedacht hatten, der schmerzhaft und schwierig war. Ein Versuch, der mehr Fragen stellte als er Antworten lieferte, der Mut machte, den eigenen Weg zu suchen.